Als strange days bezeichnete Patrice Fuchs kürzlich die aktuelle Situation. In der Tat fühlt sich für mich vieles sehr seltsam an. Da ist einmal der Alltag. Damit meine ich nicht den persönlichen, denn damit bin ich kaum allein, sondern der ist für alle ordentlich durcheinander geraten und für sehr viele sogar völlig aus den Fugen. Nein, ich meine den medialen Alltag. Zum Beispiel die Nachrichten.
Schlechte Dauerbeschallung
Dass diese von Corona dominiert sind, ist völlig verständlich. Dass es ein großes Informationsbedürfnis gibt, ebenso. Nur was man im Fernsehen täglich zu sehen bekommt, muss ja geradezu depressiv machen. Da sind einmal die neuesten Nachrichten aus besonders betroffenen Ländern. Dann kommen die obligatorischen Zahlen – allerspätestens bei den neuesten Todeszahlen bin ich den Tränen nahe. Und sollte ich da noch nicht komplett in die Depression abgerutscht sein, dann sorgen die Wirtschaftsnachrichten definitiv dafür. Da hilft es leider nur wenig, wenn Berichte über solidarische Aktionen eingestreut werden, auch wenn mir diese natürlich sehr wohl wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubern.
Immer wieder frage ich mich: wie soll man das auf Dauer aushalten? All diese schlechten Nachrichten, die sich über all die individuellen Ängste legen? Noch dazu, wo durch Corona für uns alle zwei sehr existenziellen Ängste zusammenkommen: erstens jene um das eigene Leben sowie das der Lieben, zweitens jene um die wirtschaftliche Existenz. Als wäre das nicht genug, kommt der Verlust gewohnter sozialer Beziehungen dazu.
Gesunde Mischung
Jetzt, wo ich mir das einmal so richtig bewusst mache, muss ich anmerken: es ist wahrlich bemerkenswert, wie wir als Gesellschaft damit bisher umgehen. Und doch ist mir einiges fremd. Insbesondere diese ständige Konfrontation mit diesem Thema.
Nun wäre ich eine schlechte Journalistin, würde ich mich all den Fakten verweigern. Das tue ich auch nicht. Doch halte ich mich nicht für eine schlechte Journalistin, nur weil ich nicht Tag und Nacht nur mit dem Thema beschäftige und nicht nach jeder Sondersendung und Talkrunde lechze. Denn erstens ist der Erkenntnisgewinn oftmals sehr beschränkt. Zweitens kann man sich auch in etwas so sehr verbeißen, dass man jene Distanz verliert, die für eine ausgewogene Berichterstattung so wichtig ist. Drittens ist es für die Seele, Psyche, das Herz – wie auch immer man das nennen will – ganz sicher nicht gesund, wenn man sie ständig mit einem Thema konfrontiert, das für eine/n persönlich so enorm belastend ist.
Es ist sicherlich die intensive Erfahrung mit der Krebserkrankung und die Sterbebegleitung meines Vaters, die mich verändert hat. Angeblich gibt es – so zumindest wird es oft dargestellt – zwei Wege, mit solch existenziellen Situationen umgehen: sich dem stellen oder es verleugnen. Ich halte das für zu simpel, denn die Gefühlswelten von Menschen sind dafür zu komplex und auch zu widersprüchlich. Deshalb braucht es auch eine gesunde Mischung.
Ungeahnte Kräfte
Dazu ein kleiner Exkurs: Schon im Sommer, bevor mein Vater starb, zeichnete sich im Grunde schon ab, dass er nicht mehr lange leben würde. Im Nachhinein weiß ich das. Damals aber war ich nicht bereit zu akzeptieren, dass die Lage unausweichlich ist – genauso wenig meine Mutter im Übrigen. Gab es denn nicht genug Beispiele, wo die Hoffnung und der Optimismus ungeahnte Kräfte mobilisiert haben? Und was bringt es, schon zu einem Zeitpunkt mit dem Schlimmsten zu rechnen, wo genau das vielleicht erst viel später eintreffen könnte? Kann man denn nicht auch krank vor Sorge werden?
Man mag das naiv finden, doch ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass diese Haltung uns stärker gemacht hat. Dazu eine weitere Rückblende: zu Silvester 2016/17 war mein Vater wieder zu Hause. Da war meiner Mutter und mir nun wirklich klar, dass er nicht mehr lange zu leben haben würde. Ich kann nur für mich sprechen: ich habe ganz bewusst versucht, mir diesen Gedanken zu verbieten.
Keine Frage, der hoffnungslos optimistische – oder naive? – Teil in mir wollte die Hoffnung nicht aufgeben. Vor allem aber rebellierte alles in mir, meinen Vater wie einen Todgeweihten zu behandeln. Denn wie soll man es denn aushalten, ständig an den nahenden Tod erinnert zu werden? Ihm selbst war das zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon bewusst genug. Daran erinnert wurde er durch die regelmäßig fälligen Medikamente und die immer wiederkehrenden Schmerzen, die immer wieder Hausbesuche unseres großartigen Arztes nötig machten. „Es ist nicht leicht, mit diesem Damoklesschwert zu leben“, vertraute er mir einmal an.
Bewusste Auszeiten
Umso mehr fühlte ich mich in der Pflicht, für seine Psyche etwas zu tun – aber auch für meine eigene. Zwar informierte ich mich, doch ich gab mir auch ganz bewusste Auszeiten. Damals war ein sehr kalter und schneearmer Winter, am See also Spiegeleis.
Meine Mutter ermutigte mich glücklicherweise immer wieder dazu, eislaufen zu gehen. Nicht allein der Sport tat mir gut. Da ich gerne fotografiere, war ich auch ständig auf der Suche nach Motiven. Sprich ich konnte mein Hirn so richtig auslüften. Langer Rede kurzer Sinn: die Mischung aus „sich dem stellen“, die Hoffnung trotzdem nicht verlieren und Kraft durch Hirndurchlüftung schöpfen – sie hat mich durch die bisher schwerste Zeit meines Lebens getragen.
Gut fürs Herz
Wenn die Nachrichten nur ein Thema kennen, das nachfolgende Programm durch Corona-Sondersendungen ersetzt wird, das normale Vorabend- und Abendprogramm dauernd über den Haufen geworfen wird – dann wird man dauernd damit konfrontiert, dass alles anders ist. Somit werden auch die Ängste ständig wachgerufen bzw am Leben erhalten. Meine Mutter tickt ähnlich wie ich, die gemeinsame Erfahrung mit meinem Vater hat uns da sicherlich noch einmal mehr zusammengeschweißt. Auch sie ist sehr interessiert an Nachrichten, sie liest mehrere Zeitungen, die Journale auf Ö1 sind meist Fixtermine für uns, genauso die Abendnachrichten.
Zuerst war ich es, die stöhnte, wenn wieder Nachrichten auf dem Programm standen. Wenig später ging es auch ihr so: schon wieder nichts wie Corona! Die Nachrichten hier, eine Sondersendung da, eine extra Diskussionsrunde dort: das wurde uns schlichtweg zu viel. Ich habe in letzter Zeit einen Spleen entwickelt: Um 17 Uhr 10 schauen wir in den hohen Norden, genauer gesagt in den Tierpark Hagenbeck. Auf NDR ist da nämlich die Sendung Leopard, Seebär & Co. Lustige Tiere, sympathische MitarbeiterInnen und ein amüsanter Kommentar: die Sendung ist eine wunderbare Auszeit, auf die sich inzwischen auch meine Mutter freut.
Dies ist nur ein Beispiel für Dinge, die ich mangels Spiegeleis 😉 tue, um mich abzulenken. Deshalb bin ich oftmals immer noch traurig, deshalb spüre ich oftmals immer noch meine Ängste. Auch das ist wichtig. Man kann diese Gefühle nicht verdrängen, meistens sitzen sie einem sogar umso fester im Nacken, je mehr man das versucht. Sehr wohl aber kann man sie für eine Weile wegschieben, sie mit anderen Dingen überlagern. Dann ist es auch nicht mehr ganz so schlimm, wenn sie wieder an die Oberfläche kommen.
Da gebe ich dir vollkommen recht, wir sehen uns auch nur mehr die nötigsten Nachrichten an, wenn wir wissen es könnte etwas von wirklicher Bedeutung oder irgendeiner Veränderung enthalten sein. Ansonsten sollte man versuchen sein Leben, soweit möglich, so normal es geht weiterzuleben.
Oft helfen dabei ein paar ganz banle Dinge, wir waren unlängst mal wieder zwei Stunden spazieren und sind mit dem Auto 15 Minuten unterwegs gewesen. Wenn du dann ab und zu Menschen auf den Gehsteigen oder ein paar Radfahrer siehst wirkt das schon um einiges normaler als wenn du nur deine Wohnung hast.
Bleib gesund, drücke dich, bis bald.